IN PRAISE OF THE DANCING BODIES with Maria VMier
Galerie Françoise Heitsch
27.01. - 01.04.2022

L’Opéra
Pencil & Charcoal on paper
70 x 50 cm
2022



Persemmon’s Castle
Pencil & Charcoal on paper
70 x 50 cm
2021


Flora and Creatures on Rock
Pencil & Charcoal on paper
70 x 50 cm
2022


Above photos: Thomas Gothier


1. Maria VMier, Companion in Rejoicing! – in Rejoicing! [blue-black], 2021, ink on paper, 289x 197 cm





Zola Bell
Bronze cast
2021




Anna Bell
Häväl Bell
Persemone Bell
Elia Bell

Bronze cast
2021



4. Maria VMier, PEaches [caput mortuum], 2021, ink, pigment and gum arabic on paper, 150x 212 cm
5. Maria VMier, FeatheR [orange], 2022, pigment and ink on paper,120x 80 cm, Foto: Constanza Meléndez



Jan Erbelding reading his exhibition text infront of Maria’s Companion . 




In Praise of the Dancing Bodies

Bodies nicht body. Nicht ein Körper sondern mehrere. Ein Körper tanzt, also mein Körper tanzt, der sich für sich selbst verliert irgendwo in der Masse, sich auf sich selber zurückzieht in die Bewegungen und Gegenbewegungen, in irgendwas, das auf irre Weise nicht ich ist, das aber direkt über meine Körperoberfläche entlang und von dort nach Innen diffundiert. Viele Körper tanzen und ich sehe Köpfe Arme Hände Schultern und restliche Oberkörper. Wie mir diese Wärme fehlt und wie mir manchmal diese tanzende Masse als beschützende, behütende Menge fehlt. Ihr Schweiß und die Gerüche, die zufälligen Begegnungen, Blicke, Berührungen. Die Vorstellung einer Masse an Körpern vor meinem inneren Auge, von der Sehnsucht gerendert, der Sehnsucht nach Nähe und Gemeinschaft, nach tanzender Individualität in einer Masse an eine Masse angeschlossen, die so sehr nicht Ich ist, in der sich alles verliert und wiederfindet. Die Ortlosigkeit emotionaler Überwältigung – umfassend. Was sich um mich legt, was immer ist.


In Praise of the Dancing Bodies.

Ausschweifend, überbordend, Vielsein.


Barock

Antimodern


Wir lachen natürlich auch bisschen, googeln Barock und finden das doch ziemlich passend.

Barock. Vielleicht weil eh momentan alles zuviel scheint. Seit Monaten hab ich das Gefühl jetzt dann gleich müsste der Punkt kommen an dem sich das dann auch äußern kann, dass alles für mich, sich um mich mehr und mehr anhäuft, noch mehr wird, überhandnimmt und so wie in Filmen, warte ich auf eine Welle oder Explosion oder wie in der Musik, warte ich darauf, dass der Bass Drop kommt, der Synthi den höchsten Punkt erreicht und von dort aus dann endlich die Ahnung zerhaut, diese in Bestätigung wandelt – farblich, klanglich, alles; physisch psychisch sichtbar spürbar und dem Vielzuviel greifbare Form verleiht. Ich wünsch es nicht, aber ich sehe auch nichts. Alles wird nur mehr und mehr, häuft sich an in mir um mich, und alles scheint dabei wie immer.

Barock. Vielleicht weil der Begriff die eigenen Widersprüche auch schon einschließt. Wie viele Gespräche haben wir schon zu dritt, Paulina, Maria und ich oder in anderen Konstellationen geführt, über die uns doch oft sehr eng grenzgezogen scheinende Vorstellung von was Kunst sein soll und die wir immer wieder von außen auf unsere Arbeiten übertragen gesehen haben, bis diese Vorstellung selber in uns ankam. Was genau Kunst zu leisten hat, welchen Ansprüchen sie genügen muss, was professionell sein soll. Und wie das alles zu leisten wäre. Wie zu handeln zu kommunizieren zu malen wäre. Alles innerhalb gerader Linien. Dabei die ganze Fülle an Emotionen, Ausschweifungen, Pathos und Exzessen, aller Kleinkram und all der Kitsch unseres eigenen banalen Lebens abgekanzelt und ausgezirkelt. Alles, während an den Höfen die Profite unendlich steigen. We’re the 99%. Aber klar, die Dichtkunst, die barocke wusste schon: „Der wohlgesetzte fuß / die lieblichen gebärden / Die werden theils zu staub / theils nichts und nichtig werden/ […]“1 Auch rome wasn’t burnt in one day. Klar.

Ich höre zur Einstimmung ins Barocke bisschen barocke Orgelmusik, skippe kurz durch sechs Lieder, entscheide mich dann nach 30 Sekunden doch für eher überladene elektronische Popmusik ohne Gesang aus den letzten zwei, drei Jahrzehnten, weil das hier muss ja für heute geschrieben werden.

Kein Zurück – alles wird nur immer mehr. Barock als emanzipatorisch gemeinte Behauptung Richtung Zukunft.

Layer und Schleifchen Schleifen Rüschen und Windungen Zwirbel und Zirkel, Rückkopplungen und überlagernde Netze, ausufernde Myzelen Rhizome Fraktale, Verbindungen Windungen Dehnungen und Deutungen. Die Katze aus Alice im Wunderland hat darauf jetzt eine sozialistische Partei gegründet. Cute. Dies und jenes, hier und da mal festschreiben, ab dann aber alles improvisieren.

Mädchenphantasiealarm! höre ich noch und die knarzenden hohlen Höhlen in denen die Augen der Moderne rollen. Das laute Knarzen ist wie so oft das Geräusch der ureigenen Angst vor diesem immer erneut, in jeder Zeit, in jeder Generation, jedes Jahr und jede Minute von außen an dich hin, dir vehement entgegengebrachten Vorschlag, doch auch mal wieder von den lange schon selbstgesetzt und mittlerweile allzu liebgewonnenen Dogmen Abschied zu nehmen. Antimodern zu sagen ist natürlich nie ganz einfach, aber es ist auch eine Behauptung, die ich gerne aufstelle und die genauso in die Zukunft zeigend emanzipatorisch gemeint ist, wie die Behauptung Barock. Sich allem wieder öffnen – nicht ohne Ausnahmen, nicht ohne Widersprüche – aber Vielem erstmal ohne Furcht. Antimodern sein, wenn Modernsein bedeutet, den Tränen abschwören zu müssen und der immer überbordenderen Fülle und den ganzen Schnörkeln und wenn Moderne bedeutet sich statt in alten Hierarchien, einfach nur in neue begeben zu müssen. No Linear Fucking Time.

Barock, Antimodern. Krumm und merkwürdig, ja sicher, das finden wir eh auch immer gut, aber sehr einig waren wir uns, wieder mal, bei der Auflösung der Genregrenzen, die dem Barock nachgesagt wird. Die Fülle an Tätigkeiten, die alle im Kunstmachen zusammenfließenkönnen.  

Paulina Nolte: Performances und Videoarbeiten. Alleine (Desert of Unrest, The Half Woman Earth Theater) oder in Kollaborationen mit Anna McCarthy (What Are People For, Bloodless Boutique), mit Band, mit Chor und Bühne oder ohne – als Schauspielerin oder Musikerin oder Performerin. Rituale, Zeremonien, Feste, Blumen; Haute-Couture in der verfluchten Shopping Mall oder falsche Tränen beim Begräbnis.

Maria VMier: Zines und Texte und Gebrauchsskulpturen. Alleine oder in Kollaborationen, als Duo oder in immer neuen. Als Verlegerin für vielzählige Künstler:innenbücher (Hammann von Mier Verlag), als Kuratorin, Organisatorin von Kunsträumen (Ruine München und Lothinger13:_Florida), von Bars (Zur Einsamkeit) und von Festen – Maria, die Zeremonienmeisterin und Vorständin des großen Symposion zu Ehren des weiblich gelesenen Eros. Füllhörner gegen unsere Vereinzelung. Hier also überall künstlerische Konstellationen, die das Eingebettet-Sein und Verwoben-Sein unterstreichen, die ein Gemeinsames suchen und finden in der Kunst, in Kunst und allem was noch dazu gehören möchte. Und zwar politisch, als die konkrete Arbeit sich dem zu widmen, was man für notwendig oder wünschenswert hält2, die Arbeit auch an den Bedingungen unter denen Kunst entsteht und wie diese gesehen werden kann.

We form constellations. Our bodies are never isolated, are
always enmeshed in shifting patterns of relations. Scattered
across space our selves form patterns, trace connections
ethical but unseen. They give us consistency and form outside
of our solitude. When we make our connections material our
constellations take shape, become tactile, make worlds.
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In Praise Of The Dancing Bodies.

Bodies nicht body. Nicht ein Körper, sondern mehrere. Für Sylvia Federici sind rhythmisierte Bewegungen des Körpers, oder sagen wir, Tanz, eine Möglichkeit zu einer Sprache jenseits der Sprache (zurück) zu finden, eine Sprache, die unsere Körper sprechen und die wir in den Bewegungen wieder verstehen lernen können.

Die Sprache des Körpers im Tanzen finden. Das ist genau das, was ich an den Arbeiten bei Maria und Paulina so sehr schätze. In den Malereien und Zeichnungen der beiden manifestiert sich eine Sprache (eigentlich sind es jeweils unterschiedliche Sprachen), die ich nicht so sehr über mein Sprachzentrum, über die Worte verarbeiten kann, als über meinen ganzen Körper und seine anderen, so irre zahlreichen Möglichkeiten Wissen, Erfahrung, Kommunikation und was sonst noch herzustellen und zu speichern.

Maria VMiers Malereien sind in ihren Titeln oft als „Companions“, als Gefährt:innen oder Genoss:innen für unterschiedliche Situationen bezeichnet. „Companion in Doubt and in Failure“ beispielsweise. Die Zeichnungen sind dadurch immer auch als Begleiter:innen gedacht, als Unterstützer:innen. Was für mich eine direkte Verbindung herstellt und wodurch sich für mich das Bild vom schlicht zu rezipierendem Objekt löst und stattdessen auf seine eigenen Involviertheiten und Bedingungen hinweist und sich damit direkt sehr nett in mein Leben drängt.

Ich lasse mich ja gerne mitreißen auch von diesem crazy Fluss der Farben und den unaufhörlich sich ineinander verschlingenden Bewegungen im Bild, die dann hin und wieder doch kurz zusammenschmelzen, an Punkten sich ballen oder dort gerinnen, immer an den sonderlichsten Stellen im Bild. So strange. Oft sitzen die dann da, die geronnenen Punkte und Flächen und Flecken und sind teilweise, so vom Bildgleichgewicht her, für mich kaum auszuhalten. Farbflecken werden zu körperlichen Sensationen, zu physisch erlebten Intensitäten. Daneben und darüber geriebenes Pigment zur Tropfen und Schweifen übers Papier gezogen, schnell, so scheint es und alles mischt sich zu weiteren Wellen Explosionen auf weißen Grund. Spricht man in der Malerei von Leere? Warum spricht man überhaupt von was in der Malerei, wenn man doch die Malerei hat eigentlich? Immer habe ich das Gefühl irgendwas brennt oder stürzt ab in Marias Bildern, irgendwas schleppt sich schwer nach oben oder versucht noch zur Seite auszuweichen, aber kann nicht weg, gerät erst später im Bild dann doch ins Rutschen und Strudeln, verformt sich, teilt sich auf, verzweigt sich, bis ich mir selber wieder in den Zeichnungen verloren gehe. Es gibt die Wirbel und Wege denen ich folge, die mich reinsaugen und auswerfen und abblocken und von drinnen umlenken wieder woanders rein und rüber. Kann mich nie so wirklich ausschauen, nie fertig sehen an den Bildern. Vielleicht liegt’s weniger an mir, als dass die Bilder selber den Überblick verweigern.

Das Wort Psychedelisch kommt mir in den Sinn. Die sehr großen Formate, teils als riesige Diptychen angelegt, sind zwar auch noch freundliche Companions, aber überwältigen und verschlingen mich ungefragt und vollständig. „Hi!“ und dann bin ich weg.

In Marias Atelier höre ich wie der große Pinsel über die glatte Papierfläche schreibt, schwebt und streicht. Blau und Schwarz. Orange und Grün und Schwarz und Türkis. Maria tanzt über die Bilder, sitzt auf den Bildern, läuft über die Bilder, solange bis die Bewegungen in ihnen nicht mehr aufhören.

Die Zeichnungen von Paulina Nolte verschlingen mich weniger, als dass sie mich immer tiefer in ihren Kaninchenbau an Details reinlocken. Ein labyrinthisches Verirren ist das eher. Mit jedem konzentrierten Blick tun sich wie bei Fraktalen an den Rändern immer wieder neue Felder Figuren Formen auf, wechseln zwischen abstrakten leicht vernebelten Flächen und einer immer wieder so arg versteckten Figürlichkeit, dass ich beginne an meiner eigenen Wahrnehmung zu zweifeln. Alles wuselt, drängt und quetscht sich. Immer wieder zwängt sich was ins Innere des Bildes hinter das Papier oder presst sich aus dem Bild raus, zurück auf die Oberfläche. Organisches mischt sich mit Geometrischem. Es gibt nicht erkennbare, aber tanzende Buchtaben, Buchstaben die niemand kennt, Buchstaben in einer Sprache geschrieben, die uns unbekannt ist, einer Sprache die auch der Künstlerin unbekannt ist, Buchstaben die jetzt nur noch Form und Bewegung sein dürfen. Ihr seid frei jetzt! Buchstaben, die auf was verweisen, das jenseits unserer Ratio liegt, Buchstaben die etwas bezeichnen, das wir noch nicht wissen können, Buchstaben, eine unbekannte Oper singend, angeschlossen an etwas, das sich in die Zeichnungen gibt ohne erkennbar zu sein. Daneben gibt’s aber doch auch immer voll erkennbare Schleifen und Totenköpfe und Penisse. Es gibt Brüste und Fratzen, gruselige Tiere, Rüschen, Knorpel, Knochen und Blumen. Und Penisse. Aber vielleicht liegt das an mir. Von Rohrschach ausgetrickst und dann von Freud verhaftet. Klar ist alles schon auch bisschen teeni-mäßige Symbolik, düster und traurig und sexy, hier aber im besten Sinne einer Verweigerung, die eigenen Fantasien und Sehnsüchte, die eigenen seltsamen Träume, Ängste und Lüste, als erwachsene Person, einem bürgerlichen Verständnis von Erwachsen-Sein gänzlich zu opfern oder diese diesem auch nur zu verheimlichen. Wir sind antimoderne Träumer:innen und Lüsterne, unser Leben ist nicht banal, sondern unser banales Leben ist politisch geworden. Dazu kommt in Paulinas Arbeiten immer auch eine sehr humorvolle Ebene, eine groteske und klamaukige teils, die dann schließlich doch aus der Darkness heraus leuchtet, bis beide (Light und Darkness) Paulina als „the warrior of feelings“ feiern.

In Praise of the Dancing Bodies zeigt als Ausstellung zwei großartige Künstler:innen, denen ich als Fan schon lange begeistert folge. ihren Ausschweifungen und Verschachtelungen. Dem Gang durch die unterschiedlichsten Level von Intensitäten bei Paulina in ihrer performativen und musikalischen Praxis. Die Arbeit an den unterschiedlichsten Level von Intensitäten in Form von Gemeinschaften und Räumen bei Maria VMier auch als konkrete politische Arbeit. Und natürlich folge ich immer extrem gerne der ekstatischen Arbeit beider Künstlerinnen am Bild, welche für mich, auch wenn ich mich immer gerne verschlingen und verirren lasse, nie getrennt von den anderen Tätigkeiten der Künstlerinnen zu begreifen ist, sondern immer als weiterer Ausdruck einer umfassend emanzipatorischen Praxis Richtung Zukunft. Als Betrachter:innen dürfen wir dabei, als immer schon Verwobene, zu Companions werden, in Doubt and in Failure, in dieser unserer aller Desert of Unrest.



Text: Jan Erbelding, 2022


Bibliographie:

1 Christian Hoffmann von Hoffmannswaldau. Vergänglichkeit der Schönheit, in: Gedichte aus Neukirchs Anthologie, Tübingen, 1961.

2 Michael Hirsch: Kulturarbeit. Hamburg, 2022.

3 o.A. Friendship as a Form of Life. Issue two, 2016 in: https://friendship-as-a-form-of-life.tumblr.com/ (abgerufen 21.01.2022)

sonstige:

Unicum. Die wichtigsten Merkmale des Barock. Todessehnsucht, Carpe Diem und Dreißigjähriger Krieg, 2019 in: https://abi.unicum.de/abitur/abitur-lernen/barock-merkmale

Sylvia Federici. Beyond the Perifery of the Skin. Rethinking, Remaking and Reclaiming the Body in Contemporary Capitalism. Oakland, 2020.

Kerstin Stakemeier. Entgrenzter Formalismus: Verfahren einer antimodernen Ästhetik. Berlin, 2017.